J. Schweizer u.a.: Die Schlösser in Oberdiessbach

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Title
Die Schlösser in Oberdiessbach.


Author(s)
Schweizer, Jürg
Series
Schweizerische Kunstführer
Published
Bern 2018: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte - GSK
Extent
100 S.
by
Hans Christoph von Tavel

Diese umfangreiche und aufwendig illustrierte Publikation ist glücklichen Umständen zu verdanken. Der ganze Komplex des Alten und des Neuen Schlosses in Oberdiessbach befindet sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie von Wattenwyl, der die Erhaltung ihres Sitzes stets ein Anliegen war. Das Äussere des repräsentativsten Teils der Schlossanlage, des im 17. Jahrhundert erbauten Neuen Schlosses, ist bis heute unbeschädigt erhalten geblieben. Die Gestaltung der Wohn- und Repräsentationsräume und der Gärten lässt sich sozusagen lückenlos verfolgen. Martine und Sigmund von Wattenwyl, die elfte Generation der Besitzer und Bewohner, ergriffen die Initiative zu diesem Kunstführer. Sie wählten die entsprechenden Fachleute und öffneten ihnen Tür und Tor ihrer Schlösser. So konnten die Staatsarchivarin Barbara Studer Immenhauser, der Familienhistoriker Hans Braun, der Archäologe Armand Baeriswyl und der Kunsthistoriker Georges Herzog unter der Leitung von Jürg Schweizer, dem ehemaligen Denkmalpfleger des Kantons Bern, die Geschichte der Schlösser auf den hundert Seiten der vorliegenden Publikation zusammenfassen. 2018 wurde mit diesem Kunstführer, öffentlichen Darbietungen und einem «Son et lumière»-Spektakel der 350. Geburtstag des Neuen Schlosses gefeiert.

Die Geschichte der Schlösser in Oberdiessbach beginnt mit der Burg Diessenberg, dem Mittelpunkt der Twingherrschaft Diessbach vom 13. bis ins 15. Jahrhundert. Seit dem 15. Jahrhundert zerfiel sie, und heute ist sie nur noch an wenigen Mauerresten erkennbar. Der älteste Teil der heute erhaltenen Schlösser ist die Ringmauer, die bezeugt, dass die damaligen Twingherren, die Familie von Diesbach, im 15. Jahrhundert ihren Sitz in das Dorf Diessbach verlegten. Das Kornhaus, das untere Tor und die Schlossscheune, alle an die Ringmauer angelehnt und heute «Altes Schloss» genannt, werden seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert bis heute bewohnt und benützt. Die grosse Stunde in der Geschichte der Schlösser in Oberdiessbach schlug 1648, als Albrecht von Wattenwyl die ganze Twingherrschaft Diessbach in seinen Besitz brachte. Sein im Sold von Ludwig XIV. angehäuftes Vermögen gestattete ihm den Bau eines vorher in Bern nie gesehenen Herrschaftshauses auf dem Lande. Erstmals sollte dieses nicht mehr die Züge eines wehrhaften Schlosses, sondern die eines herrschaftlichen Sommerhauses tragen. Im Winter lebte die Familie im Alten Schloss und in ihren Häusern in der Stadt Bern. Nach dem Studium mehrerer Entwürfe entschied sich Albrecht von Wattenwyl für den Architekten Jonas Favre aus Neuenburg. Dieser betreute den heutigen Bau von dessen Baubeginn bis zur Aufrichtung des Rohbaus und anschliessend mehrere Jahre während der Vollendung des Äusseren und der Ausstattung des Inneren.

Vorbildlich sind im vorliegenden Führer die Vorstufen, die Planung und der Bauvorgang des Neuen Schlosses aufgelistet und illustriert. Der Grundstein wurde am 27. April 1668 gelegt. Am 23. August 1669 wurden die Dachstühle aufgesetzt, nachdem 5388 Tagewerke geleistet worden waren. Im folgenden Jahr wurden die Hof- und Gartenportale, die Gartenkabinette sowie die Kamine errichtet und verputzt und das Kanalsystem angelegt. Dieses funktioniert bis heute. Die entsprechenden Pläne befinden sich im Schlossarchiv, sind jedoch bis heute nur zum Teil publiziert. Die folgenden Abschnitte im Kunstführer gelten der architektonischen Würdigung des weitgehend unverändert erhaltenen Äusseren und der Geschichte der Einrichtung im Inneren. Dieses, charakterisiert durch die monumentale Treppenanlage zwischen den beiden zweistöckigen Flügeln, wurde ab dem 17. Jahrhundert mit flandrischen Ledertapeten ausgestattet. In die reich und farbig durchgestaltete Wanddekoration sind Bilder auf Leinwand integriert und eingelassen. Der Auftrag zu diesen Bildern ging an den Maler Albrecht Kauw, der in Bern eine reichhaltige Tätigkeit als Maler und Kunsthändler entwickelt hatte. Ein Stillleben mit einem Hasen, mit Vögeln, Aprikosen, Äpfeln und Zwetschgen in einer weissen Fayenceschale mit blauem Blumendekor gibt Einblick in das Leben der Land- und Schlossbesitzer des 17. Jahrhunderts. Die Fortsetzung der Geschichte der Kultur des bernischen Patriziats im 18. Jahrhundert geht aus der Ausstattung der Salons mit Tapisserien aus Aubusson, mit Mobiliar, Spiegeln und Konsolen aus der Werkstatt der Familie Funk, mit Möbeln von Johannes Aebersold und mit Kachelöfen aus verschiedenen Werkstätten hervor. Im 19. Jahrhundert blieb das Innere weitgehend von Eingriffen verschont, während die Gartenanlage wesentliche Veränderungen erfuhr, namentlich durch den Architekten Johann Daniel Osterrieth. Über neuere Massnahmen schweigt sich der Führer aus. Hier sind etwa die 2018 installierten Glasleuchten im Treppenhaus zu erwähnen: Werke der Künstler Jan Plecháˇc und Henry Wielgus aus der «Neverending Glory Collection» des tschechischen Hauses Lasvit.

Im Kunstführer ergänzt eine bebilderte «Eigentümertafel» vom 13. Beziehungsweise 17. Jahrhundert die Geschichte und die Kunst der Schlösser bis heute. Sehr willkommen sind die Erklärungen architektonischer Begriffe. Die Legenden zu den Abbildungen können, so ausführlich sie sind, die fehlenden Anmerkungen zum Text nur teilweise ersetzen. Auch die Erläuterungen zu den einzelnen Künstlern und ihren Werken sind der nötigen Knappheit des Kunstführers geopfert. So wird zwar die Biografie des Malers Albrecht Kauw auf einer eigenen Seite hervorgehoben, aber diejenige des Architekten Jonas Favre ist lediglich im Abschnitt über die Würdigung des Neuen Schlosses angedeutet. Dessen Bedeutung in der Kunstgeschichte der Schweiz ruft nach einer wissenschaftlichen Publikation, zu der der vorliegende Kunstführer ein vielversprechender Ansatz wäre.

Zitierweise:
Hans Christoph von Tavel: Rezension zu: Schweizer, Jürg et al.: Die Schlösser in Oberdiessbach. Bern: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte 2018. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 71-73

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Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 71-73

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